31.5.04

"Peer Review" erschwert Paradigmenwechsel

Anhand eines Beispiels aus der Biologie (es geht um den Transport von Ionen in Zellen) erläutert Telepolis die fatale Wirkung des "Peer Review Systems" in der Wissenschaft.

Nach Charles Babbage (Reflections on the Decline of Science in England, first edition1830, London) gibt es drei Arten von wissenschaftlichem Betrug:

1. Trimming: Nivellieren von Unregelmäßigkeiten
2. Cooking: Zitieren der Ergebnisse, die zu einer Theorie passen, Weglassen der Ergebnisse, die der Theorie widersprechen
3. Forging: Erfinden aller Forschungsergebnisse

Während Trimming und Forging - wenn sie denn nachgewiesen sind - von jedermann als Betrug identifiziert und als unmoralisch angesehen werden gilt dies nicht für Cooking. Im Gegenteil, diese Betrugsform wird allgemein als legitimes Mittel zur Durchsetzung favorisierter Meinungen eingesetzt. Bei der Komplexität biologischer Fragestellungen und der zunehmenden Daten- und Literaturexplosion ist praktisch jeder Wissenschaftler auf Zusammenfassungen, Übersichtsartikel (Reviews) und Lehrbücher angewiesen, um sich in ein Spezialgebiet einzuarbeiten.

Die Reviews, deren Inhalt sich dann in kondensierter Form in Lehrbüchern wieder findet, sind aber nun so angelegt, dass bei Zugrundelegung allgemein akzeptierter Theorien ein möglichst einheitliches Bild ohne Widersprüche dargestellt wird. D.h. die Autoren (Wissenschaftler!) verschweigen bewusst alle Befunde, die im Widerspruch zu akzeptierten "Grundwahrheiten" stehen, weisen bestenfalls auf periphere Probleme hin, die noch gelöst werden müssen. Sie verschweigen aber, dass diese Befunde bei einer anderen Sichtweise wissenschaftlich im Sinne des eingangs definierten Kriteriums verstanden werden können.

Noch schlimmer aber ist es, dass "querschießende" Vorhaben, die der gängigen Lehrmeinung widersprechen, oft bereits im Vorfeld abgewürgt werden. Das liegt daran, dass heutzutage die meisten Forschungsvorhaben aus staatlichen Geldern finanziert werden. Diese Gelder werden meistens von Kommittees verwaltet. Um an die Gelder heranzukommen, muss man einen Antrag (ein sog. "proposal") verfassen. Jedes Proposal wird nun einer Qualitätskontrolle unterzogen, in dem man es Forschern derselben oder einer verwandten Fachrichtung vorlegt. Das ist der sog. "Peer Review Process". Mit anderen Worten: die proposals werden von meistens von Leuten geprüft, die die gängige Lehrmeinung (die herrschenden Paradigmen) vertreten. Es ist klar, dass abweichende Meinungen unter diesen Umständen nur wenig Chancen haben. Meistens führt das bereits im Vorfeld dazu, dass ein Antragsteller nur solche Dinge beantragt, die auf keinen Fall die gängige Lehrmeinung in Frage stellen - eine Vorgehensweise, die von manchen Institutionen sogar direkt empfohlen wird, etwa dem National Institute of Health, USA: ".... the author of a project proposal must learn all he can about those who will read his proposal and keep those readers constantly in mind as he writes..."

Sollte jemand durch "ein Versehen" doch zu einer Erkenntnis kommen, die der herrschenden Lehrmeinung widerspricht, so ist noch lange nicht gesagt, dass er seine Meinung auch publizieren kann. Denn alle Publikationen in namhaften Fachzeitschriften werden demselben "Peer Review Process" unterzogen wie oben beschrieben.

Der Telepolis-Artikel stellt treffend fest:

Die Folgen eines angepassten Verhaltens liegen auf der Hand: In letzter Konsequenz ist das Peer-Review-System mit seinen Spielregeln erfolgreicher bei der Abwehr genialer Ideen und revolutionärer Neuerungen als die Kirche des Mittelalters im Kampf gegen unpassende Ansichten.

Hierfür gibt es auch Beispiele außerhalb der Biologie. So hat etwa der Physiker und Astronom Wolfhard Schlosser von der Ruhr-Universität Bochum in der Nähe der Externsteine Entdeckungen gemacht, die ebenfalls den herrschenden Paradigmen über die Externsteine widersprechen (siehe diesen Artikel in GEO). Hier kommt erschwerend hinzu, dass die Externsteine heute tabu sind, weil sie von den Nazis mißbraucht wurden, so dass nach 1945 dort keine Ausgrabungen mehr stattfanden. Das ist aber kein Grund, die Externsteine nicht neu zu erforschen.

2 Kommentare:

Blogger Marc meinte...

Ja, das Peer-Review-System gibt einem so seine Möglichkeiten.

Als Reviewer eines Journals bekommt man "Paper" ja vor einer Veröffentlichung zu sehen. Daher kann man den Artikel zurückschicken und einen ganzen Satz Nachbesserungen fordern. Und in der Zwischenzeit die noch nicht publizierten Versuche nachkochen und "zufällig" was ähnliches einreichen. Das wäre aber schon sehr dreist. Aber manchmal hat man so Parallelveröffentlichungen und man fragt sich wie das zustandekommt.

Man kann ein Paper mit seinen (berechtigten oder unberechtigten) Nachbesserungswünschen locker ein halbes Jahr aufhalten, falls man selber was ähnliches in der Pipeline hat oder den Typen einfach nicht mag.

Weiterhin lohnt es sich die Ergebnisse des Konkurrenten anzweifeln, wenn sie das eigene Modell gefährden. Oder um zu versuchen wertvolle Veröffentlichungen in High Impact Journals wie Cell, Nature und Sciene zu verhindern. Dadurch hat der Autor weniger wissenschaftliches Gewicht und bekommt den ein odert anderen Antrag nicht durch. Dafür aber man selber.

Weiterhin kommt das System dem Verzögerer entgegen, denn der Reviewer kennt den Autor und weiß wem er in die Suppe spuckt. Der Autor kennt den Reviewer nicht, kann sich aber oft denken, wer es ist.

Das System zeigt seine Schwäche, wenn man es mit Autoherstellern vergleicht. Da stellt VW seinen neuen Golf her und muss es erstmal bei Opel zur Begutachtung einreichen. Und Opel sagt dann: "Nö, das ist aber kein Astra. Abgelehnt."

Seltsamerweise gehen diesem Reviewsystem immer noch die kritischen Punkte durch die Lappen. Da gibt es ein oder zwei Experimente, die in den Artikeln nicht stehen, die man aber als kundiger irgendwie vermisst. Warum fehlen den gerade solche Schlüsselexperimente? Hehe, natürlich weil sie "nicht geklappt" haben oder was ganz anderes zeigten, was so gar nicht zu den anderen 90% und den Papern zuvor gepasst hätte.

Aber manchmal lässt man das gerne passieren, denn man selber hat ja auch so seine nie gemachten Experimente. Und eventuell hat ja auch ein guter Kumpel das Ganze publiziert, der irgendwann mal DFG-Gutachter werden könnte... Und womöglich saßen sie mal zusammen in einem Labor und weiss jeweils von den Leichen im im Keller des anderen - und die sollen da mal schön bleiben.

Das Schlimme ist nur, dass nach aussen das Wisenschaftsgeschäft als die Suche nach der "Wahrheit" und "dem was die Welt zusammenhält" verkauft wird. Aber inzwischen ist auch Wissenschaft zu einem Mittel für Karriere geworden und es geht nicht um die Wahrheit, sondern darum wie man seinen nächsten Grant bekommt.

6:37 PM  
Blogger Marc meinte...

Was ich vergaß: Der telepolis-Artikel-Schreiber verknüpft leider Probleme durch das Publikationssystem mit der mit seinem Problem Anerkennung für seine Ergebnisse zu finden. Das eine hat vielleicht mit dem anderen zu tun, aber es ist besser das getrennt zu diskutieren.

7:35 PM  

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