23.11.06

Zitat zum Unterschreiben

Von Michael Ende habe ich bei MM ein geniales Zitat gefunden, das aus der "Unendlichen Geschichte" stammt:
Er mochte keine Bücher, in denen ihm auf eine schlechtgelaute und miesepetrige Art die ganz alltäglichen Begebenheiten aus dem ganz alltäglichen Leben irgendwelcher ganz alltäglicher Leute erzählt werden. Davon hatte er ja schon in Wirklichkeit genug, wozu sollte er auch noch davon lesen? Außerdem haßte er es, wenn er merkte, daß man ihn zu was kriegen wollte. Und in dieser Art von Büchern sollte man immer, mehr oder weniger deutlich, zu was gekriegt werden.

Dieses Zitat kann ich nur unterschreiben. Es nervt mich, wenn ein Buch mir Aussagen eintrichtern oder gar einhämmern will. Und was soll ich mit Alltagsschilderungen in Buchform - den Alltag habe ich jeden Tag live und in Farbe. Dann schon lieber ab nach Mittelerde, oder Hogwarts, oder auf die Scheibenwelt, oder...

4 Kommentare:

Anonymous Nyarla meinte...

Wenn man nur Eskapismus als Anspruch an Literatur hat, mag das stimmen. Aber sind die Grenzen wirklich so hartgezogen? Kann nicht der Alltag auch mystisch und magisch und das Mystische und Magische auch alltäglich sein?
Wie gehst Du mit Autoren wie zum Beispiel Hemingway oder Plenzdorf um?

7:12 AM  
Blogger *V.K.* meinte...

Ich denke beim Wort "Alltag" nicht an das Mystische und Magische, sondern an den Berufsalltag - und den habe ich jeden Tag. Wenn man den Alltagsbegriff so erweitert wie du, dann wäre das OK für mich.

Hemingway und Plenzdorf haben zwar auch den Alltag beschrieben - aber einen anderen Alltag, als ich ihn habe. Insofern kann ich einigen Werken etwas abgewinnen, wobei ich von Plenzdorf nur "Die neuen Leiden des jungen W." kenne.

7:58 AM  
Anonymous Juyooh meinte...

Es gibt da auch die Literaturtheorie des Sinndefizits. Mein Prof (Christian Enzensberger) hat die damals vertreten. Kurz gesagt: Literatur bezieht ihre Berechtigung aus dem Sinndefizit des Lebens, das man durch den Sinn (Happyend usw) der Bücher kompensiert.
Als alter 68er fand er diese Deutung natürlich zwar richtig, aber schrecklich und propagierte heftig den Realismus.
Aber die REalität wird ja gemeinhin überbewertet.

9:49 AM  
Anonymous MartinM meinte...

Auch Ende trat für den Realismus ein, aber einen "erweiteten" Realismus, der mehr als nur den platten Alltag darstellt, man könnte auch sagen "magischen Realismus". Er wehrte sich dagegen, dass man "Realismus" weitgehend mit einem "klotzartigem" Materialismus gleichsetzte - und vor den ständigen Vorwürfen deutscher Kritiker, er schriebe "Fluchtliteratur" floh er in ein abgelegenes Dorf in den Abbruzzen. Was er vor allem verabscheute, waren Kinderbücher mit klarer politische und ökonomischer Agenda - Lernziel: angepaßter arbeitsamer Staatsbürger. Das ware übrigens auch die Bücher, die bis ca. 1980 bevorzugt als "pädagogisch wertvoll" ausgezeichnet wurden. Ich erinnere mich noch an einige schreckliche Langweiler, die mir meine padägogik-beflissene Tante zum Geburtstag schenkte.
Anderseits haben es Kinderbuchautoren, die eine bestimmte Art politischen Realismus in ihre Bücher einbauen wollen, nicht immer leicht. Ich weiß von einem Autor einer ziemlich bekannten "Reiterhof"-Reihe, der die jungen Helden der Serie gegen den Bau einer Schnellstraße quer durch das Reiterhof-Gelände prostestieren ließ - mit Info-Stand, ordnungsgemäß angemeldeter Demonstration, alles genau beschrieben, wie man sich als Staatbürger wehrt. Pädagogisch sehr wervoller Realismus, würde ich sagen. Das war dem Verlag dann aber doch "zu realistisch".

Ein guter Krimi ist realistisch, vor allem, wenn er Seiten unserer psychischen und gesellschaftlichen Realität zeigt, die normalerweise im Schatten liegen. Ein Krimi behandelt diese dunklen Seiten des Alltags aber nicht auf "schlechtgelaute und miesepetrige Art" - und wenn doch, ist er kein guter Krimi.

7:16 PM  

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