4.11.06

Unzufrieden mit dem aktuellen Staat

Franz Walter analysiert in einem Artikel auf SpOn die aktuelle Unzufriedenheit der Mehrheit der Bevölkerung mit dem demokratischen Staat. Ein Absatz hat mir besonders zu denken gegeben:
Kurzum: Seit Jahren wird die Substanz der demokratischen Räume und Umgangsweisen systematisch unterminiert, ohne dass das neue Demokratiedefizit ein bemerkenswertes Thema in der öffentlichen Debatte dieser Republik wäre. Verheerend geradezu wirkte sich die rot-grüne Regierungsära aus. Denn Rot-Grün, das mit dem Demokratisierungs- und Teilhabeversprechen begonnen hatte, verstärkte noch den grassierenden Fatalismus und nahm die Enteignung demokratischer Freiheiten hin, indem es den Determinismus vorgeblicher Eigengesetzlichkeiten in Wirtschaft und Wissenschaft bekräftigte. Die gegenwärtige Große Koalition knüpft daran nahtlos an. Und so ordnet sich das politische Establishment in Deutschland - von den Schwarzen bis zu den Halbroten, von den Gelben bis zu den Grünen - den "Zwängen", "Automatismen" und "Anpassungsnotwendigkeiten" einer zunehmend demokratielosen globalen Marktgesellschaft unter.
Das erinnert mich an eine uralte "Scheibenwischer"-Episode, in der Gerhart Polt auftrat mit einem Song, der den schönen Refrain hatte:
Nur der Sachzwang ist schuld
Nur der Sachzwang ist schuld
Nur der Sachzwang, der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld
Dieser Song ist heute aktueller denn je. Gerade die dauernde Argumentation mit angeblichen "Anpassungszwängen infolge der Globalisierung" wurde (u.a. von Sven) längst als Spin entlarvt, der vor allem dazu dient, soziale Ungerechtigkeiten einzuführen, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, Löhne zu kürzen usw. Viele "Sachzwänge" sind, wenn man es genau betrachtet, gar keine. Oft sind solche Spins gekoppelt mit neoliberaler Ideologie, die sich als "objektive Wahrheit" tarnt. Dabei stimmt beim Neoliberalismus nicht einmal der ideologische Unterbau. Fredmund Malik zeigte in einer Kolumne auf, dass viele Neoliberale sich auf Adam Smith berufen, ohne ihn zu kennen:
Kein echter Liberaler hat jemals Individualismus mit Egoismus verwechselt. Der Verhaltenskrüppel der Wirtschaftswissenschaften, der Homo Oeconomicus, wurde erst lange nach Adam Smith geboren. In dessen Werk ist er, entgegen allen unausrottbaren Legenden, jedenfalls nicht zu finden. Aber wer hat schon Adam Smith gelesen, gar im Original?

Kein echter Liberaler hat jemals Individualismus mit Egoismus verwechselt. Der Verhaltenskrüppel der Wirtschaftswissenschaften, der Homo Oeconomicus, wurde erst lange nach Adam Smith geboren. In dessen Werk ist er, entgegen allen unausrottbaren Legenden, jedenfalls nicht zu finden. Aber wer hat schon Adam Smith gelesen, gar im Original?

Echter Liberalismus verlangt nicht, dass alle Ziele der Wirtschaft unterstellt werden sollen. Niemand hat deutlicher als Friedrich von Hayek gesagt, dass letztlich alle Ziele nicht-ökonomischer Natur seien. Viele einflussreiche Gegner, zum Beispiel Künstler und Intellektuelle, aber auch viele junge Menschen, könnten für ein freies Wirtschaftssystem gewonnen werden, wenn man von ihnen nicht verlangte, alles rein ökonomischer Ratio unterzuordnen. Was der Liberalismus aber verlangt, ist, dass jeder für seine Handlungen einzustehen hat.
Wenn eine solche Zerrbild-Ideologie wie der Neoliberalismus regiert, wundert es gar nicht, dass die Opfer dieser Ideologie (das Volk, also wir) kein Vertrauen mehr in den Staat haben.

Franz Walters Fazit im o.g. SpOn-Artikel::
Das etikettiert man dann als pragmatische Politik. Doch langsam wird das Volk unverkennbar misstrauisch.

Langsam? Das wird aber höchste Zeit!