8.7.08

Erwerbstätigkeit mit Druck einfordern?

Der Berliner SPD-Politiker Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister von Neukölln, hat in einem Tagesspiegel-Interview unglaubliche Forderungen erhoben, etwa die Einführung einer Schulpolizei sowie Aufhebung des Datenschutzes sowie Zwang zur Erwerbsarbeit für Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Nach dem Lesen des Interviews war ich zunächst fassungslos. Bei einigen Punkten habe ich mich gefragt, wo denn der Unterschied zur NPD ist.

Ich bin gewiss kein Fan davon, soziale Probleme zu verklären, außerdem habe ich bereits in diesem Weblog auch Jugendliche mit Migrationshintergrund kritisiert. Aber mit reiner Repression, wie sie Herr Buschkowsky fordert, werden soziale Probleme nur noch schlimmer. Sein Weg scheint mir geradewegs zur Mega City One aus den Judge-Dredd-Comics zu führen. Der Pädagogik-Professor Freerk Huisken fand in einem Interview auf Telepolis in den meisten Punkten die passende Antwort:
Buschkowsky will sie von der Straße haben, und deswegen kann ein Sozialdemokrat seines Schlages heute auch kein Verständnis dafür aufbringen, dass Jugendliche vielleicht nicht so scharf auf "Jobs" sind, von deren Entgelt man nicht leben kann, die als Arbeit unzumutbar sind und in denen sie ? besonders als "migrantische" Jugendliche ? Schikanen ausgesetzt sind, die über das normale Maß der Schikaniererei einheimischer Lohnarbeiter hinausgehen.
[...]
Was der Herr Sozialdemokrat als Probleme auflistet, das sind allemal nicht diejenigen, die die jugendlichen oder erwachsenen Angehörigen des hiesigen Prekariats haben, sondern solche Probleme, die sie der staatlichen Aufsicht machen! Wenn er "Probleme ernst nimmt", wie es im Interview heißt, dann allein seine eigenen. Wenn Jugendliche irgendwann anfangen, die Schule zu schwänzen, da ihre Chancen, wenigstens einen Zipfel von geordnetem Leben nebst gesichertem Lebensunterhalt zu erwischen, ohnehin gegen Null abgesunken sind, dann nur, weil sie wissen, dass Schule ihnen keinerlei "Perspektive" bietet. Dann erfinden sie sich ihre "Perspektive" auf der Straße. Wo auch sonst. Das stört die Ordnung der Buschkowskys!

Ich gehe sogar noch weiter und meine, wenn jugendliche "Schulvermeider" nach zehn Jahren Staatsschule nicht gescheit lesen, schreiben und rechnen können, dann liegt das sicher nicht an den versäumten Stunden, sondern vielmehr an denen, die sie nicht versäumt haben: Als Migranten ohne Sprachförderung vom schulischen Mitkommen ausgeschlossen, von Mitschülern aus gepflegtem Elternhaus von vornherein im Leistungsvergleich abgehängt und dann noch von der Lehrerschaft in die Restschule abgeschoben ? so produziert das hiesige Schulsystem mit Fleiß Analphabeten. Das stört ? auf Ämtern und die Dienstherren.
[...]
Wenn nun Buschkowsky die Kids mit der Schulpolizei in die Schule karren will, dann "qualifiziert" sie das ungeheuer. Da lernen sie einiges fürs Leben. Z.B.: In die Schule muss man, weil die Schulpflicht keine Ausnahmen zulässt. Auch wenn die Lehrerschaft über Schüler längst das Versagerurteil gesprochen hat, und der Schulbesuch damit ziemlich sinnlos wird. Sie lernen auch: Hierzulande regiert die Gewalt, von der man sich nicht erwischen lassen darf, wenn man es schon nicht schafft, stärker zu sein. Und sie lernen: Ihr "Leben" findet nur außerhalb von Schule und Polizeiaufsicht statt.

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