Wenn F in den Himmel blickt

12.11.2001

Er sah in den Himmel, so als ob er ihn nie gesehen hätte.

Vor einem blauen  Hintergrund, der nun nur noch an wenigen Stellen zu erkennen war, zogen sich Bänder aus Violett, spielten orange Wolkenfetzen und versuchten dem dunklen Dämmerlicht der Nacht zu entkommen.

Jedes Mal  war es anders, wenn er empor sah und dem Spiel des Himmels und der Winde folgte. Jedes Mal war es, als ob er neu geboren war und dies alles zum ersten Mal sehen konnte. Es war die pure Weite, das reine Gefühl der Verbundenheit mit dem Sein.

Was er sah, schien ihm wie ein lebendiges Wesen, eine große Seele oder ein verständiger väterlicher Geist. In diesen Momenten breitete er die Arme aus und fühlte in den Himmel hinein. Dabei schloss er die Augen und spürte die Luft um sich herum, spürte die Luft selber, folgte ihr bis in die kleinsten Winkel der Welt, bis in die höchsten Höhen des Raums. Er weitete sich soweit, dass er alle Grenzen seines täglichen Empfindens hinter sich lassen konnte, um einfach nur zu sein. Dabei hörte er meist auf den Wind, wenn dieser an seinem Ohr vorbei pfiff. Er spürte die Bewegung, die Veränderung und das Leben selbst, wie es den Himmel durchzieht und er spürte die Kraft.

Eine Kraft, die er nur als Gott bezeichnen konnte, denn kein Wort, das er kannte, würde dem gleichkommen was er empfand. Es schien ihm wie das tiefe zufriedene Grollen eines alten Mannes, der auf der Alm sitzt, Pfeife raucht und dabei völlig sicher ist, wer er ist, warum er ist und wie das große Puzzle der Entwicklung zusammenpasst.

Manchmal dachte er bei dieser Kraft an einen uralten Baum. Ihr wisst was ich meine, die Art Bäume, die mit Moos überzogen sind und in denen mindestens drei Vogelnester zu sehen sind. Ein Baum, dessen dicke Äste wie in das Geflecht der Realität gemeißelt zu sein scheinen. Ein Baum, der nie entstand oder wuchs, sich nie entwickelte oder veränderte. Es gab ihn einfach. Sicher passte dieser Vergleich nicht immer, aber manchmal ließ er sich zu einer etwas romantischeren Sichtweise der Welt hinreißen.

Doch eigentlich war diese Kraft irgendwie mehr. Es war wie etwas das hinter allem stand, hinter dem alten Mann, dem Baum oder allen anderen Dingen, die ihm durch den Kopf gingen. Manchmal fühlte er sich mehr als nur verbunden. Er fühlte sich wie der Himmel selbst, er wurde zur Weite und mehr noch, er wurde zu allem was um ihn war. Natürlich beschreibt das nur ein subjektives Gefühl und ihr werdet schon wissen, wie ich es meine, aber für ein paar winzige Augenblicke konnte er die Kraft spüren, nach ihr greifen und wurde selbst zu ihr.

Ich habe ihn nie völlig verstanden und ich konnte nie völlig das nachvollziehen was er macht, aber wenn er mir sagt, dass sich sein “Selbst“ in solchen Momenten für ihn völlig öffnet, oder dass das große Gefüge so wie es ist für einen Augenblick einfach zu passen scheint, schließe ich die Augen und versuche dem Wind zu lauschen.

Bernd Schäfer

 

 

 

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